Miteinander durcheinander?

Miteinander durcheinander? Die Grundbedürfnisse Zuwendung und Anerkennung.

Zur Begrüßung die Hände schütteln? Oder gar eine herzliche Umarmung? Das war wohl einmal. Und jetzt? Wählen wir die postpandemischen Begrüßungsrituale Ellenbogencheck oder Faustcheck? Oder doch Händeschütteln und Umarmung und dann ganz schnell zum Desinfektionsspray greifen? Was ist denn jetzt angemessen?

In der Unsicherheit darüber, wie wir unsere sozialen Kontakte in Zukunft gestalten wollen, zeigt sich vor allen Dingen eines: Wir sehnen uns nach Kontakt mit und Zuwendung von anderen Menschen. Gerade in und nach den Lockdowns ist uns schmerzlich bewusst geworden, dass wir den sozialen Austausch mit anderen Menschen dringend brauchen – er ist essenziell für unsere Seele.

In der Transaktionsanalyse sprechen wir vom psychologischen Grundbedürfnis der Zuwendung oder Anerkennung. Es ist eines von drei Grundbedürfnissen, das für unsere psychische und physische Gesundheit elementar wichtig ist.

In Beziehung mit anderen: Bedürfnis nach Zuwendung und Anerkennung.

Nicht nur die Befriedigung von biologischen Bedürfnissen wie Atmen, Trinken und Essen ist für uns lebensnotwendig, sondern auch die Befriedigung von psychologischen Grundbedürfnissen wie zwischenmenschlicher Kontakt und Zuwendung. Dies gilt von Geburt an bis zum Lebensende. Anfangs wird dieses Bedürfnis von den Eltern und Bezugspersonen gestillt, später übernimmt der Mensch selbst die Verantwortung dafür. Alte Menschen sind wiederum mehr und mehr auf andere bei der Befriedigung dieser Grundbedürfnisse angewiesen.

Eric Berne, der Begründer der Transaktionsanalyse, nennt die psychologischen Grundbedürfnisse „Hunger“. Er sieht das ganze Leben als ein fortlaufendes Ringen des Menschen an, diesen Hunger zu stillen. Von anderen Anerkennung und Zuwendung zu erhalten bedeutet, von anderen „gesehen“ zu werden. Damit fühlen wir uns in unserer Existenz anerkannt. Das Bedürfnis nach Zuwendung ist also existenziell. Ein Mangel an Zuwendung ist demütigend und führt im Extremfall zu lebensbedrohlichen Schwierigkeiten.

Beispielsweise ist es für Obdachlose mitunter das Schlimmste, von ihren Mitmenschen nicht „gesehen“, nicht beachtet zu werden. Es bedeutet eine massive Abwertung ihrer Existenz.

Positive Zuwendung hingegen „nährt“ unsere Seele und damit auch unser Gehirn, vor allem ist sie für die gesunde Gehirnentwicklung von Neugeborenen elementar wichtig. Aktuelle Studien zeigen, dass die kognitive Leistungsfähigkeit auch im Alter zunimmt, wenn Menschen soziale Unterstützung erhalten und positive Resonanz erfahren.

Grundsätzlich unterscheiden wir zwei Arten von Zuwendung: Die bedingungslose und die bedingte Zuwendung.

Bedingungslose Zuwendung

Sie bezieht sich auf die Existenz eines Menschen, auf sein Da-Sein (z.B. „Es ist schön, dass du da bist“). Sie kann sowohl verbal als auch nonverbal gegeben werden. Nonverbale Zuwendung geben wir durch Gesten z.B. eine Umarmung oder Mimik wie z.B. Lächeln.

Für Kleinkinder ist diese Art der Zuwendung besonders wichtig für ihre gesamte Entwicklung.  Erhalten Kinder viele liebevolle Botschaften, entwickeln sie größeres Selbstvertrauen. Ein Mangel hingegen kann zu schweren psychischen Störungen wie Depression oder Angsterkrankungen führen.

Bedingte Zuwendung

Sie bezieht sich auf das Handeln des Menschen (z.B. „Das hast du gut gemacht!“). In unserer Gesellschaft sind wir es eher gewohnt, für unsere Leistung oder unser Aussehen Anerkennung zu erhalten, als für unser pures Da-Sein. Das kann dazu führen, dass wir uns immer mehr über unsere Leistung, unseren Besitz oder über unser Aussehen definieren: „Ich bin, was ich leiste“.
Das befriedigt unser Bedürfnis nach Zuwendung aber nur zum Teil, es macht uns nicht richtig satt. Es fehlt der Teil der bedingungslosen Anerkennung für uns als einzigartige Wesen, die wir sind. So kann es passieren, dass wir uns in einer Leistungs-Spirale wiederfinden, die sich immer schneller dreht und letztendlich im Burnout münden kann.

Dieser Entwicklung können wir entgegentreten. Als Erwachsene sind wir in der Lage, Verantwortung für uns selbst und somit für die Befriedigung unseres Hungers nach Zuwendung zu übernehmen. Wir kümmern uns aktiv darum, in der Beziehung zu anderen mit Energie versorgt zu werden.

Zuwendung als Energiespender

Ein erster Akt der Selbstfürsorge kann also sein, sich seinen Hunger nach Kontakt und Zuwendung einzugestehen, genauso wie den biologischen Hunger. Und dann aktiv dafür zu sorgen, dass der Hunger gestillt wird – die Bitte um ein Gespräch, einen Besuch oder eine Umarmung sollte eine Selbstverständlichkeit und keine gefühlte Hürde sein.

Manchmal fällt es aber auch schon schwer, Zuwendung einfach anzunehmen. Vielleicht fühlt es sich komisch an oder wir misstrauen den anderen. Hier gilt es, die eigenen Gewohnheiten und ggf. in der Vergangenheit erlernte oder selbst auferlegte „Filter“ zu prüfen, die ein Annehmen von Zuwendung behindern. Zuwendungen zuzulassen ist keine Schwäche, sondern eine Stärke, die Energie spendet.

Aber keine Frage: Es gibt Lob, das einen bitteren oder verächtlichen Beigeschmack hat oder sich falsch anfühlt. Diese Art von Zuwendung dürfen wir genauso ablehnen wie solche, die uns einengt oder zu manipulieren versucht. Was uns nicht gut tut, lassen wir besser an uns abperlen.

Keine oder nur die falschen Energiespender in Sicht? Do it yourself! Es ist durchaus legitim, sich selbst Zuwendung zu geben und sich selbst zu loben, wenn Dinge gut gelungen sind. Das ist ein wunderbarer Akt eigener Wertschätzung, der gleichzeitig unseren inneren Kritiker in den Hintergrund drängt.

Das neue alte Miteinander

So geht es im Idealfall gut gewappnet und voller Energie auch nach der Pandemie in ein gesundes und erfüllendes Miteinander.

Mehr trittsichere Wege aus persönlichen Krisen oder belastenden Situationen liefert die Therapieform der Transaktionsanalyse. (Infos und Kurse unter www.constanze-rau.de).